Der Leipziger Südfriedhof
Ort des Erinnerns und Verweilens

Denn Liebe ist stark wie der Tod, und ihr Eifer ist fest wie die Hölle.
Hohelied Salomos 8.6

   Wie in ganz Deutschland vollzog sich in Leipzig Mitte des 19. Jahrhunderts ein Umbruch: Die Industrialisierung schritt schnell voran, Fabriken wurden gegründet, Arbeiter wurden gebraucht - die Menschen zogen vom Land in die Stadt. Bereits 1870 zählte Leipzig 100.000 Einwohner und war damit in die Liga der Großstädte aufgestiegen, nur fünfzehn Jahre später waren es schon 170.000. Diese rapide Zunahme der Bevölkerung führte zunächst zu Wohnungsproblemen mit dem Ergebnis, dass kinderreiche Arbeiterfamilien oft in beengten und ungesunden Verhältnissen leben mussten. Zudem kam es im Laufe der Zeit zu einer Knappheit an Begräbnisstellen. Die Friedhöfe in der Stadt reichten nicht mehr aus, und Platz für Erweiterungen war nicht vorhanden.

   Zur gleichen Zeit gab es natürlich die Gewinner der Industrialisierung: die Unternehmer, Kaufleute und Bankiers, kurz, die durch Geschick oder Glück zu Reichtum gekommene stolze bürgerliche Oberschicht. Diese verlangte nach einem bis dato ständischen Vorrecht, nach repräsentativen Begräbnisstätten.

   So war es nur stimmig, vor der Stadt nach geeignetem Grund zu suchen, der sowohl schlichten Reihengräbern für die Arbeiter und großen Wahlgräbern für das Bürgertum ausreichend Platz bot, und zudem die Möglichkeit einer späteren Erweiterung zuließ. Als 1879 schließlich die Wahl auf ein zu Probstheida gehörendes Gelände, etwa drei Kilometer vom Stadtkern entfernt, gefallen war, begannen der Stadtbaurat Hugo Licht und der Gartendirektor der Stadt Leipzig Otto Wittenberg mit der Planung. Denn hier, auf dem Boden der Völkerschlacht, sollte nicht einfach irgendeine rein funktionale Begräbnisstätte entstehen. Leipzig wollte einen sorgfältig angelegten Friedhof nach Vorbild des Père Lachaise Friedhofes in Paris oder dem gerade fertig gestellten Friedhof in Hamburg Ohlsdorf, eine parkähnliche Gestaltung, die nicht nur der Totenruhe, sondern auch der Erbauung der Lebenden dienen sollte. So entstand eine Anlage, in der es außer für Gräber vorgesehenen Flächen größere Bereiche gab, die landschaftlich gestaltet und bepflanzt wurden.

Kischblüte auf dem Südfriedhof Leipzig
     Vertreter des reichen Bürgertums nutzten die Möglichkeit, sich so genannte Wahlstellen in exponierter Lage des Friedhofs auszusuchen, an denen sie repräsentative, architektonisch gestaltete Familiengräber errichten ließen. Von Künstlern geschaffene Skulpturen, oft mit sinnbildlichen Darstellungen versehen, und große Monumente sollten nach dem Tod an die Bedeutsamkeit der Familie erinnern.
Der Architekt Max Pommer entwarf Anfang des 20. Jahrhunderts eine große Anlage im Auftrag des „Kgl. Sächs. Commerzienrat, Stadtrat, Ritter p.p. August Wilhelm Oelssner“, die von Josef Màgr ausgeführt wurde. In der Mitte steht auf einem Sockel mit der Inschrift: „Familie Oelssner“ eine große Engelsfigur, neben ihr befinden sich auf jeder Seite drei Bronzereliefs, die geschäftige Szenen darstellen. Der Betrachter sieht von links nach rechts:  
Engel
Lebensszenen
Lebensszenen
Männer beim Beladen eines Schiffes, bei Schmiedearbeiten und bei der Feldarbeit
Frauen in der Kirche, am Spinnrad und beim Servieren von Speisen
   Auf jeder der rechten Tafeln sind außer Frauen auch mehrere Kinder zu sehen, jedoch auf keiner der linken. Die Aufgaben sind klar verteilt: Der Mann geht hinaus in die Welt und schafft, die Frau ist für Heim und Kinder verantwortlich. Der Wandel im gesellschaftlichen Selbstverständnis der Frauen, der zu dieser Zeit längst begonnen hatte, war - zumindest bei Commerzienrat Oelssner - noch nicht angekommen.
  Bereits ab 1913 wurde der Friedhof zum zweiten Mal erweitert. Zu diesem Zeitpunkt ahnten die Planer noch nicht, dass bald eine bestimmte Art von Toten hier ihre letzte Ruhestätte oder eine Gedenkstelle erhalten würden. An verschiedenen Stellen befinden sich Grabanlagen, die an Gefallene des Ersten Weltkrieges erinnern. Einige Gedenkstellen sind ganzen Regimentern gewidmet, andere einzelnen Opfern des Krieges.

   Eine besonders auffällige Grabstelle befindet sich in der Abteilung XII am Fuß des Völkerschlachtdenkmales. Das Grab der Familie Emil Zilling ist eine Kombination aus Familiengrab und Gedenkstätte
für den gefallenen Sohn. Auf dem 1919 aus dunklem Diorit errichteten Halbrund steht ein Obelisk, davor lehnt aus Bronze die Gestalt eines Jünglings mit geneigtem Haupt. In der rechten Hand trägt er eine gesenkte Fackel, Symbol des verlöschenden Lebens, in der linken einen Lorbeerkranz als Zeichen für die Vergänglichkeit des Ruhmes. Thanatos, der Tod, wurde in der griechischen Kunst oft zusammen mit seinem Bruder Hypnos, dem Schlaf, beim Bergen oder Transportieren eines Verstorbenen gezeigt. Diese Darstellung geht auf die Sage zurück, nach der Thanatos auf Zeus’ Geheiß dessen Sohn Sarpedon, der in der Schlacht um Troja gefallen war, vom Schlachtfeld trug, damit dieser in der Heimat ordentlich beerdigt werden konnte. Eine Figur des Thanatos war zu jener Zeit keinesfalls ein extrem ungewöhnlicher Grabschmuck, ähnliche finden sich auch auf anderen Friedhöfen. Hier jedoch handelt es sich nicht um eine allgemeine Metapher, sondern um eine ganz konkrete Symbolik für die Familie Zilling. Vor dem Monument steht ein einzelner, ebenfalls aus Diorit gefertigter Gedenkstein. Auf dem schlichten Kubus liegt eine Bronze, die einen Lorbeerkranz zeigt, durch den ein Schwert und das abgebrochene Blatt eines Propellers gesteckt sind. Die Inschrift lautet:

Getreu bis in den Tod!
Hier ruht in Gott unser heiss-
geliebter Sohn der Referendar
Fritz Zilling
geb. den 18. Okt. 1890
Inhaber des eis. Kr. 1 Kl. u. a. O.
Er starb am 25. Juli 1916 an der
Somme als Fliegeroffizier den
Heldentod für’s Vaterland.
   Schien es beim ersten Anblick, als ob dieser einzelne Stein nachträglich hinzugefügt wurde, ist spätestens beim Lesen der anderen, späteren Todesdaten klar, dass es sich um eine wohldurchdachte Gesamtanlage handelt, welche die Eltern im Gedenken an ihren Sohn errichten ließen.
Grabmal der Familie Zilling auf dem Südfriedhof Leipzig
Gedenkstein für Fritz Zilling auf dem Leipziger Südfriedhof

   Seit 1968 ist Carl August Schmidt nicht mehr der älteste Tote auf dem Friedhof. Schuld daran war die Umbettung eines anderen Toten. Christian Fürchtegott Gellert, Dichter, Philosoph und Professor an der Leipziger Universität, war nach seinem Tod 1769 auf dem Johannisfriedhof bestattet worden. Drei Jahre später starb sein Bruder Friedrich Leberecht und wurde im gleichen Grab mit beigesetzt. Beim Umbau der Johanniskirche gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Gebeine Gellerts neben denen von Johann Sebastian Bach in der eigens dafür eingerichteten Bach-Gellert-Gruft im Altarraum der Kirche beigesetzt. Da die Johanniskirche durch Bombardierung im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt war, wurde beschlossen, sie abzureißen. Die beiden Sarkophage hatten den Krieg jedoch heil überstanden und mussten nun anderswo untergebracht werden. Passenderweise wurde Bach in die Thomaskirche überführt, wo er einst als Kantor gewirkt hatte, und Gellert in die zur Universität gehörende Paulinerkirche, die seit Jahrhunderten ein bevorzugter Beisetzungsort für Zugehörige der Universität war. Doch auch hier war sein Bleiben nicht lange, knapp zwanzig Jahre später fiel die Kirche stadtplanerischen Gründen zum Opfer und wurde gesprengt. Es erfolgte Gellerts dritte und letzte Umbettung auf den Südfriedhof. Die Inschrift auf dem schlichten, liegenden Stein zeigt, dass ihn sein Bruder Fürchtegott bei dieser Odyssee bis heute begleitet hat. So hatte der Dichter es sich gewiss nicht vorgestellt, als er 1757 in einer seiner geistlichen Oden schrieb:
Tritt im Geist zum Grab oft hin,
Siehe dein Gebein versenken;
Sprich: Herr, daß ich Erde bin,
Lehre du mich selbst bedenken;
Lehre du mich’s jeden Tag,
Daß ich weiser werden mag!

Grabplatte von Christian Fürchtegott Gellert
   Der Südfriedhof ist heute noch, genau wie seine ersten Planer es beabsichtigt hatten, nicht nur eine Beerdigungsstätte und ein Ort des Erinnerns, sondern auch ein Park, der zum Spazierengehen, Verweilen und Betrachten einlädt. Unter den 150.000 Grabstätten finden sich viele beeindruckende Monumente, auf den Gedenktafeln viele berühmte Namen. Der einstmals beherrschende sozialistische Ehrenhain ist teilweise zurückgebaut und nicht mehr so dominant. Seit seiner letzten Erweiterung ab 1939 umfasst der Friedhof 82 Hektar und ist damit einer der größten Parkfriedhöfe Deutschlands, in dem jeden Mai tausende von Rhododendronsträuchern in voller Pracht erblühen.
Bronzegusstafel
Lebensszenen
Bronzegusstafel
Lebensszenen
   Am 1. Juni 1886 fand die feierliche Weihe des neuen Friedhofes unter Abhalten von Reden, Gebeten und Gesängen des Thomanerchores statt. Schon am folgenden Tag erfolgte die erste Beerdigung. Es handelte sich um den Leipziger Schriftgießer Carl August Schmidt, der nur 52 Jahre alt wurde. Wahrscheinlich wäre sein Name heute längst vergessen und sein schlichter Grabstein verschwunden, wenn er nicht der erste Tote auf diesem Friedhof gewesen wäre.

   Wenig mehr als ein Jahrzehnt später wurde der Platz auf dem Friedhof knapp, und eine Erweiterung musste in Angriff genommen werden. Zur gleichen Zeit waren patriotische Bestrebungen im Gange, die immer vehementer ein Denkmal auf dem Schlachtfeld von 1813 forderten, Pläne wurden bereits erstellt und Geld gesammelt. So war klar, dass bei den Erweiterungsarbeiten das im Entstehen begriffene Monument zu berücksichtigen war. Der Leiter des Stadtbauamtes Otto Wilhelm Scharenberg entwarf ein neues Konzept, nach dem ab etwa 1900 mit den Erweiterungsarbeiten begonnen wurde.

   Eine neue Hauptachse führte vom Völkerschlachtdenkmal weg zu einer neuen und größeren Friedhofskapelle. Die Hauptachse ist von einem großen Rundweg umgeben, der die Form eines Lindenblattes hat, das den vorhandenen Teil des Friedhofes - deren Hauptwegelinie kreuzförmig angelegt war- geschickt integrierte: Die Wege des ältesten Friedhofsteils waren nun Teil dieses Blattes. Das Lindenblatt erinnert an den ursprünglichen Namen der Stadt Leipzig, die 1015 erstmals als Urbs Libzi, also Lindenstadt oder Stadt an den Linden, urkundlich erwähnt wird. Passenderweise wurden an der Hauptallee, die den Stiel des Blattes darstellt, Silberlinden gepflanzt.
   Weitere drei Jahre später fand nach fünfzehnjähriger Bauzeit die Einweihung des Völkerschlachtdenkmales statt. Ob dieses aus Beuchaer Granit gefertigte Monument, das sechs Millionen Goldmark gekostet hat, nun gefällt oder nicht, durch seine wuchtige Größe von 91 Metern ist es nicht zu übersehen und damit ein Teil des Südfriedhofs.
Kapellenbau von Otto Wilhem Scharenberg
   Der Kapellenbau auf den plateauartig aufgeschütteten Kapellenberg stellte eine Besonderheit dar, denn hier sind Kapelle, Leichenhalle und Krematorium, sowie ein Columbarium, also ein Raum mit Wandnischen zur Aufnahme von Urnen, unter einem Dach vereint. Jahrzehntelang hatte in Deutschland die Diskussion um die (Wieder-) Zulassung der Feuerbestattung getobt, auch in Leipzig gab es eigens einen „Verein für Feuerbestattung“, jetzt hatten sich die Befürworter durchgesetzt. Das Gebäude ist im neoromanischen Stil nach dem Vorbild der Abtei Maria Laach in der Eifel errichtet. Der Hauptteil besteht aus einer großen Säulenbasilika mit einem sechzig Meter hohen Glockenturm, an die sich zwei kleinere Seitenkapellen anschließen. Die erste Einäscherung fand im Dezember 1909 statt, im Januar des folgenden Jahres nahm das Krematorium offiziell den Betrieb auf.
Blick vom Suedfriedhof auf das Voelkerschlachtdenkmal
Leipzig Kapelle, Columbarium, Krematorium Leipzig Kapelle, Columbarium, Krematorium
   Der Südfriedhof überstand den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Für die Toten des Zweiten finden sich einige, allerdings weniger aufwändige Gedenkstellen - die Zeit der großen Heldenverehrung war vorbei. Den über 300 Leipziger Bürgern, die bei alliierten Luftangriffen ums Leben kamen, ist eine eigene Gedenkstätte gewidmet.
   In den Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr der Friedhof eine einschneidende Umbaumaßnahme. 1945 ist an der Hauptallee die Asche von achtzig Häftlingen aus dem Konzentrationslager Abtnaundorf, die von der SS bei lebendigem Leibe verbrannt worden waren, verstreut worden. Auf der Mittelachse wurde ein Gedenkstein aufgestellt. Dem folgte wenige Jahre später eine Grabstätte für zwölf ermordete Leipziger Antifaschisten mit dem Mahnmal „Sterbende Kämpfer“. Diese Anlagen bildeten den Beginn der Errichtung einer zentralen Ehrenachse, die als Begräbnisplatz ausschließlich antifaschistischen Widerstandskämpfern und verdienten Aktivisten und Erbauern des Sozialismus vorbehalten war. Jeden zweiten Sonntag im September fand hier eine groß angelegte feierliche Gedenkveranstaltung gegen Faschismus und Krieg, für Frieden und Sozialismus statt. Die Anlage wuchs beständig und kumulierte in den achtziger Jahren in der Errichtung eines architektonisch aufwändig gestalteten sozialistischen Ehrenhains, der so viel Platz beanspruchte, dass die Alleebäume gefällt und angrenzende Friedhofsteile aufgelöst wurden. Er erstreckte sich über fast die gesamte Allee vom Nordtor zur Kapelle und endete in einer großzügigen Anlage aus Granit mit verschiedenen Mahnmalen und Monumenten.

Kapellenhaus mit Mahnmal im Vordergrund
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